Nicht nur Tabak zum Rauchen, sondern auch Kautabak war schon bei den amerikanischen Ureinwohnern als Genussmittel bekannt und erfreute sich seit dem frühen 19. Jahrhundert auch in Deutschland großer Beliebtheit.
Zur Herstellung wurde die Tabakpflanze nach dem Trocknen mit Enzymen und Geschmacksverstärkern versetzt und die entstandene „Soße“ dann erneut getrocknet. Danach wurde der Tabak zu Schnecken oder kleinen bonbonartigen Blöcken geformt und portionsweise zum Verkauf angeboten.(1)
Zum Schutz vor Austrocknung des Kautabaks nutzte der Raucher üblicherweise kleine Blechdosen oder beschichtete Papierchen. Die hier dargestellten großen Töpfe aus Steingut waren im Einzelhandel beliebt, waren doch diese schön gestalteten Töpfe ein Blickfang für die Kunden.
Der Kautabak wurde mit kleinen zwei- oder dreizinkigen Blechgabeln aus dem Topf gefischt und in Papier eingewickelt verkauft. Die Gabeln stelle man sich ähnlich wie heutige Pommes-frites-Gabeln vor.
Der Raucher beißt eine kleine Portion Kautabak ab; diese wird in die Wangeninnenseite ablegt. Gekaut wird der Tabak eher selten. Über die Mundschleimhaut gelangt das Nikotin in die Blutlaufbahn und deckt so den Nikotinbedarf ab. Zuletzt wird der Kautabak und der Sud ausgespuckt.
Die hiesige Tabakindustrie war in Nord- und Mittelhessen beheimatet, u.a. im Gießener Raum sowie in Thüringen. In Nordhausen (Thür.) gab es Dutzende von Fabriken, von denen jede auch Kautabak produzierte und somit solche auch werbeträchtige Töpfe im Angebot hatte. Oft sind diese von speziellen Töpfereien gefertigt worden, zum Beispiel im sogenannten „Kannebäckerland“ (Westerwald, Taunus).
Fußnoten
1) Vgl.https://www.kautabak24.de/die-geschichte-des-kautabaks-chew-loose-leaf-chew-loose-leaf/#2, 29.06.2023
Warum standen gerade im Einzelhandel Grebenhains Kautabakstöpfe im Regal? Die einfache, rauchlose Handhabung des Kautabaks wurde von verschiedenen Berufsgruppen bevorzugt. Vor allem an den gefährlichen Arbeitsplätzen der Seeleute, Bergleute und später dann Eisenbahner bestand ja wegen der Brandgefahr fast immer ein striktes Rauchverbot.
In Grebenhain ist nach dem Bau der Bahnlinie Lauterbach – Gedern die Nachfrage nach Kautabak deutlich angestiegen und hat wohl die Inhaber der örtlichen Kolonialwaren-Handlungen veranlasst, auch hier den in großen Töpfen gelagerten Kautabak anzubieten. Ob die im 19. Jahrhundert zahlreich im Ruhrgebiet untertage arbeitenden „Westfalengänger“ aus dem Vogelsberg bereits früher die Sitte des Priemens mitbrachten, ließ sich nicht sicher feststellen.
Aus dem ehemaligen Kolonialwarenladen Schmidt in Grebenhain, Ludwigstraße, sind zwei Töpfe erhalten.Der kleinere Topf trägt die Inschrift „Marburger Kautabak aus der Fabrik von Stephan Niderehe & Sohn“(1) und am Topfboden den Stempel „Ernst H. Göbel Höhr b. Cobl.“ (heute Höhr-Grenzhausen bei Koblenz). Der Durchmesser beträgt 16 cm.
In 1817 gründete Stephan Niderehe in Marburg eine Tabakfabrik, die bis 1956 produzierte.
Dieser Tabaktopf aus Steingut wurde offensichtlich um 1900 in der Töpferei Ernst H. Göbel in Höhr-Grenzhausen (Kannebäckerland) gefertigt.
Der größere Topf (Durchmesser 18 cm, Höhe ohne Deckel 22 cm) stammt aus Gießen, wo G. P. Gail 1812 eine Tabakfabrikation startete, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die bedeutendste in Deutschland wurde.
Die Zigarrenfabrik Georg Philipp Gail in Gießen entwickelte sich, begünstigt durch das sich ausbreitende Streckennetz der Bahn, zu einem wichtigen Arbeitgeber für viele verarmte Landwirte und vor allem auch für Frauen. Bis in die 1950 er Jahre war das Zigarrenwickeln auf dem Rollbrett ein beliebter Nebenerwerb in Mittelhessen.
Leider ist nicht mehr festzustellen, wann und wo der Topf gefertigt wurde. Das Schriftbild weist auf das 19. Jahrhunderts hin. Hierfür spricht auch die etwas „ungelenke“ Linienführung des Dekors. Vermutlich ist der Topf die Arbeit einer regionalen Töpferei, von denen es zahlreiche auch im Raum Gießen gab.
Ein weiterer Kautabaktopf der Firma Gail aus Gießen ist uns aus Grebenhain-Bermuthshain bekannt, wo ebenfalls ein Gemischtwarenladen bestand (heute Restaurantbetrieb).
Dieser Topf hat ein moderneres Schriftbild in der Glasur, ist also wohl einiges jünger als der oben Gezeigte.
Eine Kuriosität ist ein Topfdeckel aus Bermuthshain, der zu einem ganz anderen Kautabakstopf gehört haben muss, von der Firma Hanewacker aus Nordhausen / Thüringen (gegründet 1817).
Die Deckelinnenseite trägt die Inschrift: „Anderen Kautabak als den von G.A.Hanewacker G.m.b.h. Nordhausen in diesem Topf feil zu halten ist strafbar“.
Offenbar fürchtete der Hersteller, dass fremde Billigware unter seinem guten Namen verkauft werden könnte.
Fußnoten
1) Vgl. http://www.bildindex.de/obj06580393.html#|home , 26.11.2014
2) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gail%E2%80%99sche_Zigarrenfabrik , 26.11.2014