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Grebenhainer Einzelhandel im frühen 20. Jahrhundert

Grebenhainer Einzelhandel im frühen 20. Jahrhundert

Genau genommen begann die Geschichte des Einzelhandelsgeschäfts Schäddel in Grebenhain vor mehr als 120 Jahren mit dem Firmengründer Robert Lind Senior.

Dieser lernte das Bäckerhandwerk und arbeitete nach seiner Militärzeit im Vogelsberg, hier: in Schotten und Lauterbach. Im Jahr 1905 machte er sich in Grebenhain als Bäcker selbständig. Schon bald nach dem ersten Weltkrieg baute er seinen Betrieb aus und kaufte ein Haus, in dem auch die Bäckerei angesiedelt war. Er versorgte, wie das damals in Hessen vielgelesene „Sonntagsblatt“(1) meldete, insgesamt 23 Ortschaften in der Umgebung mit Backwaren. Harte Arbeit, mussten doch alle Verkaufsfahrten mit dem Pferd durchgeführt werden – und im Winter sogar mit einem kleinen Kastenschlitten.(2)

Zusätzlich wurde auch noch eine kleine Landwirtschaft betrieben.

Das „alte“ Haus (Hausname Säupeterches) neben Kirche und Tanzplatz in Grebenhain war Wohnhaus und Bäckerei zugleich. Das Foto von der ersten Hälfte der 1950 er Jahre zeigt den Einzelhandelsladen, mit der Werbung für Maggi und IMI neben der Eingangstür. Der sich anschließende Verkaufsraum  war recht klein, denn auf dem Land kaufte man nur solche Waren, die im eigenen „Grabgarten“ oder im Dorf nicht selbst erzeugt werden konnten. Im rückwärtigen Teil waren auch der Pferdestall untergebracht.

In den 1930 er Jahren ging es weiter: der Sohn des Gründers, Robert Lind jun., konnte nach  Abriss eines älteren Gebäude an der Hauptstraße 36 ein neues Wohn- und Geschäftshaus errichten und darin beide Geschäftszweige, Bäckerei und Lebensmittelhandel, unterbringen.

Ein Balken trägt die Inschrift 1935. Der Laden hatte damals immerhin 36 Quadratmeter Verkaufsfläche.

Ein Gemälde von 1936 zeigt den Neubau von der Straßenseite aus.

Gertraud Lind, Enkeltochter des Gründers Robert Lind, lernte Bäckereifachverkäuferin. Ihr späterer Ehemann Rudolf Schäddel, ein gelernter Einzelhandelskaufmann, lebte und arbeitete zuerst im Taunus. Nach der Heirat 1962 entschlossen sich die beiden, zunächst ein Einzelhandelsgeschäft in Rimbach im Schlitzerland mit Filiale zu übernehmen, das sie von 1964 bis 1974 gemeinsam führten. Wichtiger als der kleiner Verkaufsraum in ihrem damaligen Wohnhaus in Rimbach war aber etwas anderes: ein Bus , der auch gleichzeitig „Lager“ für einen Großteil des Warensortiments war.

Im Familienalbum der Familie Schäddel fand sich ein Foto mit dem Verkaufswagen von 1968, der schon LKW-Größe hatte und entsprechend schwer durch die Dörfchen des Schlitzerlandes zu manövrieren war – und zu dessen Führung der Geschäftsinhaber extra einen LKW-Führerschein machen musste. Wie geräumig dieser Bus wirklich war, sieht man an seinem reichhaltigen „Innenleben“ - was man aber nicht auf den ersten Blick sieht, das ist die Menge an Arbeit, die der Verkaufsfahrer Rudolf Schäddel täglich investieren muss: beladen, sortieren, Regale auffüllen, Neubestellungen ordern, Abrechnung und Kassenführung und vieles mehr.

In 1974 erfolgte der Umzug nach Grebenhain und der Neubeginn in den neu erbauten Geschäftsräumen in der Hauptstraße. Das Haus hatte da schon mehrere zweckmäßige Veränderungen hinter sich, wie das Foto der Umbauarbeiten 1956 zeigt.

Dadurch war neben der Bäckerei Lind das Einzelhandelsgeschäft Schäddel für die Versorgung der Grebenhainer Bevölkerung entstanden.

Der Großteil der Lebensmittel und Produkte kam vom SPAR-Großhandel, ab 1974 im Vollsortiment: denn jetzt hatte man genug Platz, alle Waren im Ladengeschäft in Grebenhain anzubieten.

Trotzdem wurde weiterhin ein Verkaufs-Bus genutzt, denn der mobile Lieferbetrieb war eine damals noch notwendige und stark nachgefragte Dienstleistung für die Ortschaften in der Umgebung. für das Geschäft vor Ort kamen die Waren teils aus dem Vogelsberg, wie zum Beispiel die wöchentliche Lieferung von frischem Quark und Molkereiprodukten aus der Molkerei in Nieder-Moos.

Im Laufe der Jahrzehnte veränderte sich auch das Einzelhandelsgeschäft der Schäddels: Der Anteil an Lebensmitteln wurde verkleinert, zugunsten von Getränkehandel, der Postfiliale und der Lottoannahmestelle. Weiterhin blieben Schreibwaren und zahlreiche andere Dinge des täglichen Bedarfs im Sortiment, auch Zeitschriften und Zeitungen – was die Grebenhainer und Kunden aus der Umgebung zu schätzen wussten.


Fußnoten

1) Vgl. „Sonntagsblatt“ Robert Lind 83. Geburtstag, vermutlich 1960 er Jahre.

2) Vgl. Zeitungsbeilage des Lauterbacher Anzeigers zum 100-jährigen Bestehen der Firma Lind, im Mai 2005.

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